Bewahrung und Transfer des Wissens der Tibetischen Medizin
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Buddhistische Konzepte in der Tibetischen Medizin

Definition des Worts Buddha (sangs rgyas)

1. sangs
bedeutet, dass er alle Verblendungen geklärt hat

2. rgyas
bedeutet, dass er Weisheit und mentale Qualitäten entfaltet hat

Das Ziel der Erleuchtung (thar pa, Skt. nirvāṇa) ist somit erreicht wenn beide Prozesse vollständig durchlaufen sind.

Drei Pfade (theg pa, Skt. yāna)


1. Hīnayāna (theg dman, Skt. hīnayāna)
2. Mahāyāna (theg chen, Skt. mahāyāna)
3. Vajrayāna (gsang sngags rdo rje theg pa, Skt. vajrayāna)

Im tibetischen Buddhismus wird das Vajrayāna gelehrt und angewandt. Die Tibetische Medizin bezieht sich somit auf die Konzepte des Vajrayāna.

Sechs Bereiche des Saṃsāra ('gro ba rigs drug, Skt. ṣaḍgati)

1. Götter (lha, Skt. deva)
2. Halbgötter (lha ma yin, Skt. asura)
3. Menschen (mi, Skt. manuṣya)
4. Hungrige Geister (yi dvags, Skt. preta)
5. Tiere (dud 'gro, Skt. tiryak)
6. Höllenwesen (dmyal ba, Skt. naraka)

Der Begriff Saṃsāra bezieht sich auf den Kreislauf der Wiedergeburten. Dieser Kreislauf wird in allen drei Yānas beschrieben.

Zweifache Verblendung (sgrib pa, Skt. āvaraṇa)

1. Kognitive Verblendung (shes bya'i sgrib ma, Skt. jñeyāvaraṇa)

2. Emotionale Verblendung (nyon mongs pa'i sgrib ma, Skt. kleśāvaraṇa)

Zwei Trainingsphasen

Meditation (sgom pa, Skt. bhāvanā)

Nach-Meditation (rjes thob, Skt. pṛṣthalabdha)

Bodhicitta (byang chub kyi sems, Skt. bodhicitta)

Bodhicitta wird als der Wunsch nach Erleuchtung für alle Wesen (des Saṃsāra) definiert.

In Bezug auf das Training von Bodhicitta im Mahāyāna und Vajrayāna werden zwei Arten der Motivation unterschieden:
die Ursächliche Motivation (rgyu'i kun slong) und die Motivation zum Zeitpunkt der Handlung (dus kyi kun slong).
Dabei wird überliefert, dass es die Motivation hinter der Handlung ist, welche die karmischen Effekte bedingt. Diese zu entwickeln und zu reflektieren wiederum dient das Training. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die eigene Motivation nur die Person selbst beurteilen kann und zwar genau nur dann, wenn sie sich selbst nichts vormacht.
Derzeit gängige rechtfertigende Rationalisierungen in buddhistischen Gruppen und Gruppen in denen tibetische Medizin unterrichtet wird, einer "guten Motivation" hinter einer schädlichen Handlung sind in diesem tradierten Konzept nicht vorgesehen. Diese Konzepte wurden zunächst entwickelt ohne Selbsttäuschung und Betrug anderer,  psychologische Aspekte, welche die Motivation verzerren, psychologische Tricks oder das Unbewußte miteinzubeziehen. Daher ist an dieser Stelle eine Differenzierung des Diskurses und der Konzepte nötig.


In der Reihenfolge der Beurteilung einer Schädigung gilt:
1. Ethik in Bezug auf das eigene Handeln: wurde mit einer Handlung Schaden zugefügt
(Zusatz: trotz schädigender Handlung zu behaupten eine Person fühle sich nur geschädigt und es wurde kein Schaden zugefügt - beispielsweise weil mit zweierlei Maß in Bezug auf Personen unterschiedlicher Hierarchieebene in der Gruppe gemessen wird - und gesamte Gruppen dahingehend zu indoktrinieren sind derzeit übliche Tricks und unzulässig; die Indoktrination der Gruppen dahingehend sind höchstgefährliche Entwicklungen, bei welchen Ethik, allgemeine Menschenrechte und Gesetze in den Hintergrund treten; aufgrund der Gefahren und Gesundheitsschädigung für die Allgemeinheit sollte eine solche Indoktrination von "Lehrenden" bestraft und die Lehrbefugnis entzogen werden)
2. Rechtssituation des Staates, in dem man sich befindet: wie ist diese Schädigung zu bewerten
3. Wie mag die innerpsychische Haltung und Zustand der handelnden Person gewesen sein
4. Das Messen mit zweierlei Maß für "Meditationsmeister" und andere ist unzulässig.

Verschiedene Aspekte von Mitgefühl

1. Mitgefühl, das sich nur auf Wesen (im Saṃsara) bezieht (sems can tsam la dmigs pa'i snying rje)

2. Mitgefühl, das sich auf den Dharma bezieht (chos la dmigs pa'i snying rje)

3. Mitgefühl ohne Fokussierung (dmigs med la dmigs pa'i snying rje)

Vier Unermessliche Faktoren (tshad med bzhi, Skt. caturaprameya)

1. Liebe (byams pa, Skt. maitrī)
2. Mitgefühl (snying rje, Skt. karuṇā)
3. Freude (dga' ba, Skt. muditā)
4. Gleichmut (btang snyoms, Skt. upekṣā)

Die vier unermesslichen Faktoren sind eine notwendige Grundlage jeden Vajrayāna Trainings. Wenn sie nicht geübt werden, ist Egozentrismus die Folge und es kommt zur Entwicklung narzisstischer Vorstellungen, die mithilfe der Visualisationen, die im Vajrayāna geübt werden, zur Gewohnheit werden.

Sechs Pāramitās (pha rol tu phyin pa drug, Skt. ṣaṭpāramitā)

1. Pāramitā des Gebens (sbyin pa, Skt. dāna)
2. Pāramitā der Disziplin (tshul khrims, Skt. śīla)
3. Pāramitā der Geduld (bzod pa, Skt. kṣānti)
4. Pāramitā der Sorgfalt (brtson 'grus, Skt. vīrya)
5. Pāramitā der Meditation (bsam gtan, Skt. dhyāna)
6. Pāramitā der Weisheit (shes rab, Skt. prajñā)


Die sechs Pāramitās sind Methoden zur Transzendierung der eigenen Limitationen. Sie werden von Beginn des Trainings an im Mahāyāna wie auch im Vajrayāna eingesetzt und wurden als diejenigen Methoden, die man auch und insbesondere im Alltag (also der Nach-Meditation, zwischen den Übungseinheiten) benutzen kann, betrachtet.

Auch wenn die angeführte Reihenfolge zu Beginn der Übung in sich sinnvoll ist, werden im Alltag alle sechs Aspekte zu unterschiedlichen Anteilen angesprochen, je nachdem wie jemand eine Situation interpretiert. Dabei zielt das letzte Pāramitā auf Prajñā, welches die Unterscheidungsfähigkeit dessen, was zu welchem Zeitpunkt sinnvollerweise angewandt wird, bedingt. Somit werden die geübten Pāramitās unbedingt vom Individuum selbst ausgewählt ohne dass es hierzu einer Rechtfertigung an irgendjemanden bedarf. Denn wann eine Person was übt, ist grundsätzlich ihr selbst überlassen.

Sie dienen also nicht dazu bestimmte Gruppenstereotypen zu entwickeln, denen sich alle Teilnehmer anzupassen haben. Sie dienen schon gar nicht dazu anderen Geduldsvorschriften zu machen, wie das heutzutage in buddhistischen Gruppen häufig üblich ist, insbesondere dann wenn traumatisierte Personen ihre Erfahrungen benennen oder wenn Einzelpersonen aus irgendwelchen Gründen schikaniert und gemobbt werden.

Grundlegende Unterscheidung zwischen Trainingsmethoden

Śamatha (zhi gnas, Skt. śamatha) mit Fokus

Śamatha (zhi gnas, Skt. śamatha) ohne Fokus

Vipaśyana (lhag mthong, Skt. vipaśyana)

Zuordnung zu den Modellen der buddhistischen Philosophie

I) Zwei Ansammlungen (tshogs gnyis, Skt. sambhāradvaya)
II) Fünf Pfade (lam lnga, Skt. pañcamārga)
III) Zehn Bhūmis (sa bcu, Skt. daśabhūmi)
IV) Relative und Absolute Wirklichkeit (bden pa gnyis, Skt. satyadvaya)

Zwei Ansammlungen (tshogs gnyis, Skt. sambhāradvaya)

1. Verdienst (bsod nams kyi tshogs, Skt. puṇyasambhāra)
2. Weisheit (ye shes kyi tshogs, Skt. jñānasambhāra

Fünf Pfade (lam lnga, Skt. pañcamārga)

1. Pfad der Ansammlung (tshogs lam, Skt. sambhāramārga)
2. Pfad der Verbindung (sbyor lam, Skt. prayogamārga)
3. Pfad des Sehens (mthong lam, Skt. darśanamārga)
4. Pfad der Meditation (bsgom lam, Skt. bhāvanāmārga)
5. Pfad des Nicht-Mehr-Lernens (mi slob pa'i lam, Skt. aśaikṣamārga)

Zehn Bhūmis (sa bcu, Skt. daśabhūmi)

1. Die Freudvolle (rab tu dga' ba, Skt. pramuditā)
2. Die Fehlerlose (dri ma med pa, Skt. vimalā)
3. Die Leuchtende ('od byed, Skt. prabhākarī)
4. Die Brennende ('od 'phro ba, Skt. arciṣmatī)
5. Die Schwer zu besiegende (sbyang dka' ba, Skt. sudurjayā)
6. Die Manifeste (mngon du byed pa, Skt. abhimukhī)
7. Die Weitreichende (ring du song ba, Skt. duraṅgamā)
8. Die Unbewegte (mi gyo ba, Skt. acalā)
9. Exzellente Intelligenz (legs pa'i blo gros, Skt. sādhumatī)
10.Wolke des Dharmas (chos kyi sprin pa, Skt. dharmameghā)

Zwei Perspektiven (bden pa gnyis, Skt. satyadvaya)

1. Relative Perspektive (kun rdzob kyi bden pa, Skt. saṃvṛtisatya)
2. Absolute Perspektive (don dam bden pa, Skt. paramārthasatya)

Śūnyatā (stong pa nyid, Skt. śūnyatā)

Konzeptualisierung von Śūnyatā als zweifache Leerheit:
1. Leerheit der Person selbst (gang zag gi bdag med, Skt. pudgalanairātmya)
2. Leerheit aller Phänomene (chos kyi bdag med, Skt. dharmanairātmya)

Der erste Moment der authentischen individuellen Erkenntnis von Śūnyatā ist definiert als der erste Moment des ersten Bhūmis und damit auch als ersten Moment des Pfads des Sehens (mthong lam, Skt. darśanamārga). Dadurch ändert sich auch die Qualität des Trainings. Daher wird die zentrale Übung dann als Nicht-Meditation bezeichnet. Dies bedeutet, dass diese Momente der Erkenntnis von Śūnyatā wiederholt werden und eine Person übt genau diese Momente zu entwickeln und auszuweiten.

Es heißt, dass sich sich in diesem Prozess die Handlungen immer weiter verfeinern und differenzieren. Dies bedeutet auch, dass die Person Verantwortung für jede einzelne Handlung übernimmt, weil sie sich des Gesetzes von Ursache und Wirkung (Karma) in immer subtilerem Ausmaß gewahr ist.

Diese Erkenntnis von Śūnyatā ist jedoch fern der aktuellen Konzeptualisierung einer Sehnsucht nach Nicht-Dualität unter demselben Begriff, welche wie eine psychische Regression in eine Art von Einheitsempfinden dargestellt wird. Da dieses Konzept die Identifikation von Menschen mit irgendwelchen sogenannten Meistern und der Gruppe beinhaltet, birgt es unermessliche individuelle psychische wie auch kollektive Gefahren.

Da das Training des Vajrayāna auf Selbstreflexion und Eigenverantwortlichkeit zielt, sind der aktuell propagierte blinde Gehorsam irgendwelchen sogenannten (männlichen) Meistern gegenüber sowie die Aufgabe von individueller Verantwortung, Integrität, Fürsorgepflicht und ethischem Handeln zugunsten der Identifikation mit der Gruppe oder irgendeinem sogenannten Meister per definitionem davon ausgeschlossen.

Aufzählungen und emische Perspektive aus Köttl, M. (2009). Heilung aus der Perspektive tibetischer Medizin. Aachen: Shaker.
Attersee Anders, A.I.M (2016). Introspektion als Wirkfaktor in der Psychotherapie Eine psychotherapiewissenschaftliche Modellbildung zu Effektstrukturen des Graduellen Kognitiven Trainings. Wiesbaden: Springer Verlag.
Attersee Anders, A.I.M (2017). Selbstreferenz. Ein dynamisches Selbstreferenzmodell auf der Grundlage von graduellem kognitivem Training. Wiesbaden: Springer Verlag.